Einweihung Zusatzschild für Wilhelm Koenen
17. März 2023
Zum Gedenken an Wilhelm Koenen haben wir ein Erläuterungsschild gestiftet, welches wir am Wilhelm-Koenen-Ring in Halle zusammen mit der Bürgerstiftung eingeweiht haben. Es trägt folgenden Text:
Wilhelm Koenen (1886 – 1963)
Sozialdemokrat, Kommunist, Widerstandskämpfer, Reichstagsabgeordneter für den Bezirk Halle-Merseburg, Redakteur und Publizist auch im Exil (Paris, Prag, London)
Wilhelm Koenen (1886 -1963)
(Quelle am Beitrags Ende)
Wilhelm Koenen war ein international hochgeachteter linker deutscher Politiker, Kämpfer gegen den deutschen Faschismus und für eine sozial gerechte Welt. Aus einem sozialdemokratischen Elternhaus stammend trat er, nach Absolvierung einer kaufmännischen Lehre, mit 17 Jahren der SPD bei. Erste Erfahrungen in der politischen Arbeit sammelte er als Gewerkschaftsbevollmächtigter der Partei und als Berichterstatter sozialdemokratischer Zeitungen. 1910 bis 1911 besuchte er die SPD-Parteischule in Berlin und legte hier als Kursant von Rosa Luxemburg und Franz Mehring den Grundstein für sein politisch-theoretisches Wissen, aber auch für Kunst und Kultur. Ab 1911, zuerst als Redakteur des „Volksblattes“, begann seine jahrzehntelange enge Verbindung mit dem Bezirk Halle-Merseburg. Als Mitglied des linken Flügels der USPD war er führend an großen Antikriegsstreiks beteiligt und kämpfte während der Novemberrevolution als Kommissar des Bezirks-, Arbeiter- und Soldatenrates und Delegierter auf dem Reichsrätekongress für den Machterhalt der Räte. Er war von 1919 bis 1920 Mitglied der Nationalversammlung für den Bezirk Halle-Merseburg. Hervorragenden Anteil hatte er an der Niederschlagung des Kapp-Putsches, insbesondere in der erfolgreich verlaufenen „Schlacht um Halle“, und inmitten der Märzkämpfe im mitteldeutschen Raum. 1920 war Wilhelm Koenen im Raum Halle-Merseburg Mitinitiator der Vereinigung des linken, revolutionären Flügels der mitgliederstarken USPD mit der jungen KPD und wurde in den Zentralvorstand gewählt. Er entwickelte sich zu einem der führenden Parlamentarier der KPD. So gehörte er von 1920-1932 dem Reichstag an, war Abgeordneter des Preußischen Staatsrats und des Preußischen Landtags. Von 1929 bis 1931 leitete er die Bezirksorganisation der KPD Halle-Merseburg und hatte dabei in partnerschaftlicher Gemeinsamkeit mit den Gewerkschaften großen persönlichen Anteil an der Organisierung und Durchführung machtvoller Streiks für die grundlegende Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterinnen sowie gegen die drohende faschistische Gefahr. Bis zur Machtübergabe 1933 an die deutschen Faschisten kämpfte Wilhelm Koenen gemeinsam mit den organisierten Arbeiterinnen von KPD und SPD gegen den faschistischen Terror, gewann er dazu auch Bundesgenossinnen unter den unorganisierten Arbeiterinnen, Christinnen, bürgerlichen Menschen, versuchte er als Redner, Publizist, Organisator und Gesprächspartner durch die Entwicklung der Aktionseinheit, diesen zu verhindern. Es gelang nicht. Wilhelm Koenen ging in die Illegalität, wurde nach dem Reichstagsbrand als einer der Hauptverdächtigen gesucht, konnte ins Saarland fliehen und von dort, auf Beschluss der Partei, in die Emigration gehen. Seine Stationen waren: Frankreich, die Tschechoslowakei und England. Auch dort war er als unermüdlicher Kämpfer gegen den Faschismus tätig. So in Paris als Mitautor des „Braunbuches“, des ersten Buches über den Reichstagsbrandprozess und den Hitlerterror, das, in viele europäische Sprachen übersetzt, die Welt über die faschistischen Gräuel aufklärte und zur internationalen Abwehrfront aufrief. In diesem Zusammenhang wurde er von der internationalen Untersuchungskommission unabhängiger Juristen, die im Auftrag des „Weltkomitees für die Opfer des deutschen Faschismus“ arbeitete, als Zeuge zu dem Gegenprozess des anstehenden Reichstagsbrandprozesses in Leipzig nach London geladen. Hier entstand die lebenslang anhaltende Freundschaft mit dem Vorsitzenden des Prozesses, dem linksliberalen Kronanwalt D. N. Pritt. Im Auftrage der Partei siedelte Wilhelm Koenen von Paris nach Prag über und wurde Leiter der dortigen deutschen kommunistischen Emigrantinnen. Dort hatte er, im Grenzgebiet der Tschechoslowakei, maßgeblichen Anteil, unter Lebensgefahr, an der Organisierung und Durchführung des illegalen Austausches von politischem Informationsmaterial für die Widerstandsgruppen in Deutschland. Hier setzte er auch seine Arbeit für das „Weltkomitee gegen imperialistischen Krieg und Faschismus“ fort und entfaltete eine vielseitige publizistische Tätigkeit. Seine Artikel und Aufsätze zur Lage in Deutschland unter dem faschistischen Terrorregime, verbunden mit eindringlichen Appellen zum entschlossenen Kampf, zur Volksfront aller Hitlergegner, erschienen in zahlreichen Ländern. Nach der Besetzung des Sudetengebietes durch Hitlerdeutschland war Wilhelm Koenen erneut zur Emigration gezwungen, da gegen ihn ein Auslieferungsgesuch lief. Mit besonderer Hilfe durch Kronanwalt Pritt erreichte Wilhelm Koenen im September 1938 London. Von da ab war er als politischer Leiter der deutschen Emigrantinnen in England tätig. Mit Unterstützung englischer Freunde und Genossinnen gelang es ihm, Hunderte von deutschen Flüchtlingen aus der ČS und anderen Ländern zu retten. In England nahm er seine publizistische Tätigkeit wieder auf, um die dortige Öffentlichkeit über die Lage im faschistischen Deutschland zu unterrichten und sie vor drohender Kriegsgefahr zu warnen. Er trat in diesem Sinne auch gemeinsam mit englischen Genossinnen und linken Liberalen auf, sprach auf Kundgebungen und Meetings. Ab 1940, am Vorabend des Krieges gegen England, wurden er und die meisten der deutschen und österreichischen Emigrantinnen als „feindliche Ausländer“ interniert. Stationen waren: die Isle of Man und danach Kanada. Die Bedingungen im Internierungslager in Kanada waren für Antifaschisten unzumutbar, da sie dort hautnah mit deutschen und italienischen Kriegsgefangenen, darunter eine große Anzahl Faschisten, lebten. Wilhelm Koenen erwies sich hier als starke, Mut machende Führerpersönlichkeit, der unter den Internierten Strukturen aufbaute, mit den Kommandanten über die Verbesserung ihrer Lage verhandelte und über Monate hinweg Vortragszyklen über die Geschichte der Arbeiterbewegung, der Ursachen ihrer Niederlage 1933, der Volksfrontbewegung und zur Frage eines neuen Deutschland anbot. Diese Vorträge mit Diskussionen waren auch für deutsche Kriegsgefangene offen, mit dem Ziel, sie über das Wesen des deutschen Faschismus aufzuklären. 1942 erfolgte durch Intervention englischer Genoss*innen und des persönlichen Einsatzes des Kronanwaltes D. N. Pritt die Freilassung von Wilhelm Koenen. Ab da setzte er seinen unermüdlichen Kampf für die Zerschlagung des deutschen Faschismus fort. So gründete sich unter seiner maßgeblichen Leitung, nach dem Vorbild des Nationalkomitees Freies Deutschland in der Sowjetunion die „Freie Deutsche Bewegung in Großbritannien“, war Wilhelm Koenen einer der wichtigsten Autoren in dem Band: „Der Weg zu einem neuen Deutschland“, in dem auch die Mutter des ermordeten halleschen Rechtsanwaltes, Hans Litten, Irmgard Litten, zu Gehör kam. Er schrieb weiterhin, auch für englische Zeitungen, Artikel, in denen er die jeweilige politische Lage analysierte und zum gemeinsamen Kampf gegen den deutschen Faschismus aufrief. Darüberhinaus bot sich ihm die Gelegenheit, in deutschsprachigen Sendungen des englischen Soldatensenders Calais in subversiver Form seine Landsleute über die wahren Absichten des Faschismus zu informieren. Nach der Befreiung vom Faschismus traf er Ende 1945 wieder in Deutschland ein, war für kurze Zeit verantwortlicher Redakteur an der halleschen Parteizeitung und wurde dann als Vorsitzender des Parteivorstandes Sachsen berufen. Seine ganze Kraft, sein reiches theoretische und praktisches Wissen stellte er dort sofort und selbstlos in den Dienst um den Aufbau eines neuen, antifaschistischen Deutschland. In der Folgezeit war Wilhelm Koenen Mitglied der Volkskammer und Vorsitzender der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung für Berlin und Halle. Ihm wurde die Leitung der Interparlamentarischen Gruppe der Volkskammer übertragen, die unter seiner Ausgestaltung zu vielfältigen internationalen Begegnungen im Sinne des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit für alle Völker führte. In diesem Kontext traf er auch seinen englischen Freund, den liberalen Kronanwalt D. N. Pritt, wieder. Wilhelm Koenen hatte hervorragenden Anteil an der gesetzlichen Herstellung der vollen Rechte des Volkes der Sorben zur Pflege ihrer Sprache und Kultur und erwarb sich insgesamt große Verdienste um die Förderung von Kunst und Kultur. Otto Nagel, der Vorsitzende des Verbandes bildender Künstler in Sachsen, schrieb anlässlich des 75. Geburtstages von Wilhelm Koenen an ihn: „… dank für Deine Freundlichkeit und Menschlichkeit, die Dein Wesen ausmachen…“
Hintergrund zum Projekt „Bildung im Vorübergehen“
Viele hallesche Straßen sind nach historischen Persönlichkeiten aus der Stadtgeschichte benannt, doch häufig wissen die Bürgerinnen und Bürger gar nicht, wer hier eigentlich geehrt wird. Deshalb stattet die Bürgerstiftung Halle im Rahmen des Projektes „Bildung im Vorübergehen“ seit Juli 2008 monatlich eine Straße mit zusätzlichen Informationsschildern aus, die Auskunft über die NamensgeberInnen der Straße geben. Die Initiatorin und „Anstifterin“ des Projektes, Dr. Ingeborg von Lips, verbindet damit die Idee, Einwohnern und Besuchern der Stadt diese historischen Persönlichkeiten und ein Stück hallescher Stadtgeschichte näher zu bringen.Das Vorhaben fand von Anfang an eine breite Resonanz in der halleschen Bevölkerung und weit darüber hinaus. Alle ursprünglich von der BÜRGER.STIFTUNG.HALLE vorgeschlagenen Straßen und etliche weitere fanden innerhalb kurzer Zeit ihre „Schilderpaten“. Dabei melden sich nicht nur Hallenserinnen und Hallenser, sondern auch Nachfahren, die z. T. selbst noch nie in Halle waren. Das Projekt wird durch die Bürgerstiftung Halle koordiniert und unterstützt durch den Fachbereich Kultur der Stadt Halle, das Straßen- und Tiefbauamt Halle und das hallesche Stadtarchiv.
Eine aktuelle Liste der bereits in Vorbereitung befindlichen Straßen ist unter
http://www.buergerstiftung-halle.de/bildung-im-voruebergehen/ abrufbar.
Bildnachweis
Portraitfoto Wilhelm Koenen: Deutsche Fotothek [CC BY-SA 3.0 DE] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fotothek_df_pk_0000168_042_Portr%C3%A4ts,H._K%C3%B6hnen_Bernard_Koenen,_Olga_K%C3%B6rner,_Eva_H%C3%B6hn,_Gertrud_Graeser(Rast.jpg