Bericht und Redebeitrag zum 8. Mai – antifaschistisches Gedenken auf dem Südfriedhof in Halle!
9. Mai 2023
8. Mai, Gedenken, Halle, Info-Blatt 117, Tag der Befreiung
Am 8. Mai haben wir wieder an den „Tag der Befreiung“ erinnert und gemeinsam mit dem Stadtverband der LINKEN in Halle (Saale) zum Gedenken eingeladen. Damit verbunden war die Erinnerung an die von den deutschen Faschist*innen Ermordeten und der Dank an die Alliierten, die Partisan*innen in den okkupierten Gebieten und an alle Widerstandskämpferinnen. Insbesondere wurde an die enormen Opfer der Sowjetunion und die Leistungen ihrer Bewohnerinnen beim Kampf gegen den Faschismus erinnert. Dabei haben wir uns deutlich gegen jede Vereinnahmung des Gedenkens im Zuge des aktuellen Angriffskrieges auf die Ukraine ausgesprochen und deutlich gemacht, dass alle Bevölkerungen der UdSSR an der Befreiung beteiligt waren, egal ob sie nun ukrainisch, russisch oder kasachisch waren.
Gerade angesichts globaler Kriegs- und Konfliktherde war die Veranstaltung auch als Mahnung zum Frieden gemacht. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ – das muss weiterhin so gelten, wie es im Schwur von Buchenwald als dauerhafte Verpflichtung für die Nachwelt festgehalten wurde. Das braucht allseitige Abrüstung und den Kampf gegen die extreme Rechte, der gerade in Halle entschieden geführt werden muss.
Die Bundesregierung bleibt dazu aufgefordert, den 8. Mai als Zeichen dieses Kampfes und als Würdigung der alliierten Gefallenen in Ost und West (die US-Army hat Halle befreit!), endlich zum Feiertag zu machen!
Wir danken insbesondere dem Tagebuch der Gefühle für ihren Beitrag zur Gedenkveranstaltung und Thomas Lippmann für seinen Redebeitrag.
Redebeitrag zum Tag der Befreiung 2023
Liebe Freunde!
Wir ehren heute und hier am Ehrenhain für die deutschen Widerstandskämpfer*innen die mutigen Frauen und Männer, die von innen heraus, unter Einsatz ihres Lebens, zur Aushöhlung und Schwächung der faschistischen Barbarei beitrugen. Wir danken ihnen, dass sie damit der Welt gezeigt haben: es gibt noch ein anderes Deutschland.
Sie, d. h. Mitglieder aus der organisierten Arbeiterbewegung, zuerst vor allem aus der KPD, gingen damals, gleich nach dem 30. Januar, der Machtübergabe an die deutschen Faschisten, in die Illegalität, bauten Strukturen und Netzwerke auf, mussten sich immer wieder, infolge von Denunziationen und Verhaftungswellen, neu organisieren.
Es gab, z.B. bis zur Besetzung der Tschechoslowakei ein ausgeklügeltes, konspiratives Kurierdienstnetz im Grenzgebiet, der die Exilleitungen von KPD und SPD in Prag mit Informationen zur Lage im faschistischen Deutschland informierte und damit Sprachrohr für die Welt wurde. Auf diesem Wege gelangten dann Aufklärungsmaterialien nach Deutschland, die als Flugblätter aufbereitet wurden. Daran beteiligt waren die Töchter von Otto Schlag, KPD-Funktionär, Abgeordneter des preußischen Landtags, ins KZ geworfen und an den Folgen verstorben, waren beteiligt Dr. Gustav Flörsheim, SPD, jüdisch-deutscher Arzt aus Zeitz, später bestialisch ermordet, waren beteiligt Franz Hollmann, Tischler aus Naumburg, SPD, der später die DDR mit aufgebaut hat (Präsident der Handwerkskammer), Dr. Rudolf Agricola, SPD/KPD. Letztere verhaftet, eingeliefert in Zuchthaus.
Mit Beginn des Krieges verschärfte sich der faschistische Terror auch nach innen. Durch ein ausgeklügeltes Spitzelsystem gelang es, Widerstandsgruppen zu sprengen und damit die illegale Arbeit zu schwächen. Es gelang aber nicht, den inneren Widerstand zu brechen. Immer wieder organisierten sich die Verbliebenen neu. Immer wieder erschienen an den Wänden Antikriegslosungen, die den Menschen und der Gestapo zeigten, dass es auch hier, in der Barbarei, Gegenkräfte gibt, mit denen zu rechnen sei.
Von denen, die selbstlos, vom Tode bedroht, aus dem Verborgenen, die Mitmenschen aufrütteln, aufklären wollten, wurden viele in die Zuchthäuser und Konzentrationslager und KZ geworfen, hingerichtet, erschlagen…
Die Konzentrationslager waren voll von Antifaschisten.
Anlaufstelle für die aus unserer Region waren in den ersten Jahren das KZ Lichtenburg, ab 1937 KZ Buchenwald.
Tod, Willkür und Sadismen waren dort an der Tagesordnung. Trotzdem gelang es den ehemals in der KPD organisierten Häftlingen, gemeinsam mit Kameraden der SPD und aus den Gewerkschaften, ein funktionierendes Lagerkomitee aufzubauen, damit hier unter den KZ-Bedingungen, die Einheitsfront der Arbeiterbewegung herzustellen. Ab Kriegsbeginn und damit Einlieferung von Häftlingen aller europäischen Nationen, wurde auf Grundlage des proletarischen Internationalismus, das internationale Lagerkomitee gebildet. Ziel war: Hilfe für gefährdete Kameraden, Hilfe für die Kinder des Kinderblocks (Robert Siewert nahm 100 von ihnen als Lehrlinge in sein Baukommando auf), das Organisieren von Sabotage in der Rüstungsindustrie, das Beschaffen von Waffen für die illegale Militärorganisation.
Großen Anteil daran hatten z. B. Kurt Wabbel, ehemaliger Stadtrat für die KPD in Halle, Erich Voigt, KPD, die beide Hilfsaktionen für sowjetische Kriegsgefangene organisierten. Kurt Wabbel wurde dafür von der SS bestialisch gefoltert.
Nach der Selbstbefreiung von Buchenwald durch das Intationale Lagerkomitee, die Int. MLO, wurde eine Gruppe von 30 ehem. Häftlingen, u. a. Erich Voigt und Robert Siewert, nach Halle (Saale) entsandt. Ihr Auftrag: im Sinne des Schwurs von Buchenwald eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen.
Das bedeutete für die, die 12 Jahre in der Hölle von Buchenwald gelebt, gelitten und auch dort illegal gekämpft hatten, sich ohne ausreichend Kraft zu schöpfen, dem Aufbau eines materiell und geistig zerstörten Landes zu stellen.
Als Vizepräsident der Provinzialverwaltung Sachsen für Halle, Dessau, Merseburg und Magdeburg, sorgte Robert Siewert mit dem liberalen Präsidenten Dr. Hübner dafür, dass das Leben wieder in Gang gesetzt wurde.
Ihm zur Seite standen z.B. Erich Voigt, Kurt Möbius, die für die innere Sicherheit zuständig waren bzw. sie neu aufbauten, Martha Brautzsch für die Verbesserung der Lage der Frauen. Im Vordergrund standen, außer der Ernährungsfrage, der Hilfe für Umsiedler, die schnelle, gründliche Durchführung der Entnazifizierung und danach der Neubesetzung in Justiz, Verwaltung, Schulen.
Ein Glücksfall für Halle war der sowjetische Kulturoffizier Wladimir Gall, später mit Robert Siewert befreundet, und mit das Kulturleben in Halle wieder in Gang setzend, mit ihnen auch für kurze Zeit Konrad Wolf.
In den Jahren der antifaschistisch-demokratischen Ordnung von 1945 bis 1949 wurden durch die selbstlose, engagierte Arbeit ehemaliger Häftlinge aus den KZ und ZH, gemeinsam mit humanistisch gesinnten Menschen, die in den faschistischen Jahren vielfach in innerer Emigration gelebt hatten, dann auch schon durch viele, insbesondere durch die charismatische Überzeugungskraft von Robert Siewert gewonnene, junge Menschen, Konturen eines neuen, friedlichen deutschen Staates sichtbar für die Welt.
Auch dafür, für diese Leistung, für und mit den Menschen, die durch Dulden Mitschuld auf sich geladen hatten, ein lebenswertes Leben aufzubauen, sie nicht aufzugeben, danken wir heute den ehemaligen Widerstandskämpfern.
Ehre ihrem Andenken.
Wir werden sie nicht vergessen.
Gisela Döring
Fotos: Jan Rötzschke und Janina Böttger