Zum Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung 2024 in Gardelegen
10. September 2024
Feldscheune Isenschnibbe, Gardelegen, Wannefeld
Seit 1945 ist der Tag der Opfer des Faschismus (OdF), auch Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung genannt, ein Tag, der dazu auffordert, sich mit Verfolgung und Widerstand in der Nazi-Zeit und zugleich mit Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in der Gegenwart auseinanderzusetzen. Der zweite Sonntag im September wurde als Gedenktag von Überlebenden von Konzentrationslagern und Zuchthäusern sowie von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern ins Leben gerufen und hat bis ins Heute nicht an Aktualität verloren.
Aus diesem Anlass wurde die KZ-Gräberstätte auf dem Friedhof der Gardelegener Einheitsgemeinde Wannefeld, auf Initiative und in gemeinsamer Verantwortung von Stadtverwaltung und dem Förderverein Gedenkstätte Isenschnibbe, am Samstag, 7. September 2024 restauriert der Öffentlichkeit übergeben. Die Grabplatten haben alle ein besonderes Merkmal und damit auch einen Wiedererkennungswert für die Todesmärsche in der Region im Frühjahr 1945: ein rotes Dreieck. Die Einzelgräber und Grabzeichen wurden gereinigt, erneuert, mit eine Graniteinfassung versehen, mit pflegeleichten Steinen aufgefüllt sowie mit etwas Grün bepflanzt. Damit hat die KZ-Gräberstätte, durch die 100-prozentige Landesförderung mit 17.900 EUR, wieder ein würdiges Gesamtbild erhalten. Die sich seit vielen Jahrzehnten in privater Obhut Pflege befindet und vor einem Jahr von der 14-jährigen Anneli Brune aus Wannefeld übernommen worden ist. Zwei der zehn Betonplatten mit dem markanten roten Dreieck haben die Häftlingsnummer beziehungsweise die Aufschrift Unbekannt. Die Inschrift des zentralen Gedenksteines „Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung, April 1945“. Der Schotter auf den Einzelgräbern soll an die Gleise der Bahnhöfe in Mieste und Letzlingen erinnern, wo die ca. 4.000 KZ-Häftlinge, unmittelbar vor Ende des Zweiten Weltkrieges ankamen. Zur Beschreibung dieses Mahnmal ist eine bronzene Tafel entstanden, die die historischen Quellen und Hintergründe zu den Geschehnissen benennt. In 12 Ortsteilen der Einheitsgemeinde Gardelegen gibt es Ehrenfriedhöfe für die Opfer der Todesmärsche im April 1945. Neun davon sind bereits saniert worden.
Alle Häftlinge stammten aus den Außenlagern Wieda, Osterhagen, Nüxei und Mackenrode des KZ Dora-Mittelbau. Sie kamen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Polen und der Sowjetunion. Sie mussten im Rahmen der SS-Baubrigade III Gleis-, Rodungs- und Erdarbeiten verrichten. Am 6. April 1945 wurden die Häftlinge zu Fuß ins Außen- und Sammellager Wieda getrieben. Von dort aus erfolgte am 7. April 1945 der Fußmarsch über den Harz. Anschließend wurden sie in offenen Güterwaggons, bei Kälte und anhaltenden Regenfälle, nach Norden transportiert, mit Ziel Sachsenhausen. Der Räumungszug kam gegen 17:30 Uhr am 11. April 1945 in der Ortschaft Letzlingen, gut zwölf Kilometer südöstlich von Gardelegen zum Stehen und wurde dort von alliierten Tieffliegern beschossen. Es herrschte Chaos, es gab Fluchten und Erschießungen. Etlichen Häftlingen gelang es zu fliehen. Die meisten Entflohenen wurden wieder eingefangen. In mehreren Marschkolonnen wurden die entkräfteten, ausgemergelten und hungrigen Männer dann in verschiedenen Richtungen nach Gardelegen abgeführt. Die den Todesmarsch in der damaligen Kreisstadt Gardelegen überlebten kamen dann, nachweislich sind 1.016 Menschen, in der Nacht des 13./14. April 1945 durch das Massaker in der Feldscheune Isenschnibbe bestialisch ums Leben.
Auf der Gedenkfeier informierte Torsten Haarseim vom Förderverein, dass es durch aufwendige und jahrelange Recherchen gelungen ist über die Häftlingsnummer 112 649 dem Toten wieder seine Identität und Würde zurückzugeben. Bei der Person haltet es sich um den 44-jährigen polnischen Staatsbürger Eligiusz Gulinki, ab 1938 Rechtsanwalt in Warschau.
In Würdigung der Todesopfer rezitierten Mitglieder der AG Stolpersteine des Geschwister-Scholl-Gymnasium den Songtext „Löwenherz“ von Julia Engelmann und das Dachau-Lied von Jura Soyfer, musikalisch umrahmt vom Männergesangverein Letzlingen.
Klaus-Peter Schuckies