Brief an Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff und Landtagespräsident Dr. Gunnar Schellenberger: „Der Stollen von Langenstein-Zwieberge ist Gedenkort“

30. September 2024

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Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff!
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger!

Der Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Sachsen-Anhalt e. V. , gegründet von den Überlebenden der deutschen faschistischen Konzentrationslager und Zuchthäuser, setzt sich seit vielen Jahren für die würdige Gestaltung der Stollenanlage des ehemaligen Außenlagers des KZ Buchenwald-Dora als einem Ort des Leidens und Sterbens von Tausenden Häftlingen und Zwangsarbeitern aus 16 europäischen Ländern ein.
In diesem Sinne richteten wir mehrere Schreiben an Regierung und Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt. Wir unterstützten dabei besonders berechtigte Forderungen und Bitten von Nachkommen der Ermordeten und Überlebenden des ehemaligen KZ Langenstein-Zwieberge nach angemessener , würdiger und nachhaltiger Ausgestaltung des Stollensystems, das zwischen April 1944 und April 1945 als mörderischer Arbeits- und Leidensort fungierte.
Der 1994 erfolgte Verkauf der Stollenanlage von staatlichen Stellen der BRD an private Investoren ist uns als antifaschistischer Verband bis heute unerklärlich, hatte sich doch schon 1993 das EU-Parlament in einer Entschließung für den internationalen Schutz der ehemaligen Orte der Nazi-KZ ausgesprochen.
Der Verkauf führte dazu, dass bei immer wechselnden privaten Eigentümern des Stollens, Gedenkstätte, Förderverein, Nachkommen, Gedenkstättenstiftung etc. zu Bittstellern um die Nutzung der ihnen von den Besitzern eingeräumten 120m Eingangsfläche in den Stollen degradiert wurden.

Mit Empörung und einiger Fassungslosigkeit erfuhren wir, auch durch die zahlreichen kritischen und anklagenden Presseveröffentlichungen des In- und Auslandes, über den erneuten Verkauf des Stollensystems an einen privaten Investor.
Dessen perfide Vermarktungsabsichten der 13km langen Stollenanlage, im Internet zu besichtigen, werden dort als das „Größte Bunkerprojekt der Welt“ beworben. Reiche Käufer aus aller Welt werden mit dem Angebot, unterirdische, krisensichere, Bunkerwohnungen zu erwerben, angelockt.
Als exotische „Grusel-Zugabe“: das Gefühl, in einem ehemaligen KZ zu wohnen.
Das darf nicht zugelassen werden! Auch keine abmildernde Variante!
Die historischen Fehler der Privatisierung dieses bedeutenden politischen Denkmals, des Leidensortes von Tausenden internationaler Häftlinge, ausgeliefert den faschistischen deutschen Terroristen, müssen revidiert werden.
Das sind wir den von unseren faschistischen Vorfahren Ermordeten und Überlebenden schuldig.
Wir stehen als Nachkommen der Schuldigen des NS-Regimes in besonderer historischer Verantwortung.
Das sind wir auch der Welt schuldig.
Eine solche politische Herangehensweise entspricht auch der antifaschistischen Leitlinie des Landes Sachsen-Anhalt, für deren lebendige Verankerung unser Verband sehr dankbar ist.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident!

Wir bitten Sie, Ihre politische Einflussnahme geltend zu machen, dass der Stollen des ehemaligen KZ Langenstein-Zwieberge als „Mittelpunkt und Seele der Gedenkstätte“ (Andre Baud, Mitglied der französischen Gruppe der 2. Generation) aus privaten Händen in das Eigentum des Staates rückgeführt wird.
So endlich kann dieser Ort, der Stollen, der eine Tötungsmaschine war, ein Ort bestialischer Grausamkeiten, zu einem Ort der Stille, der Andacht, der Mahnung, werden.
Dort erst können junge Menschen erfahren und spüren, was die Würde eines Menschen ausmacht und wie sie in faschistischer Zeit mit Füßen getreten wurde.
Der Artikel 1 des Grundgesetzes wird so in ihnen lebendig werden und dazu beitragen, dass sie die humanistischen Werte unserer Gesellschaft verinnerlichen und verteidigen.

Mit freundlichen Grüßen,


Gisela Döring
Landesverband VVN-BdA Sachsen-Anhalt e.V.
Vorsitzende