Stolpersteine – eine gerechte Form des Mahnens, Gedenken und Erinnern

11. Oktober 2024

, ,

In Zeitz im Burgenlandkreis haben Unbekannte seit Freitag alle zehn Stolpersteine gestohlen, die an das Schicksal der Juden der Stadt erinnern, die zur NS-Zeit deportiert wurden. Und drei Tage später, am 7. Oktober, jährte sich der Überfall der Hamas auf Israel, bei dem 1.200 Israelis getötet und etwa 250 weiter als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Der Staatsschutz hat Ermittlungen aufgenommen, da ein antisemitisches Motiv nicht auszuschließen ist. So lautet kurz und knapp die mediale Schlagzeile dazu. Was verbirgt sich jedoch hinter dieser Meldung und welche Auswirkungen hat sie auf unseren Alltag?

Diese antisemitischen und faschistischen Anschläge oder Schändungen nehmen immer mehr zu. Stolpersteine werden entfernt, beschmiert, mit Farbe und Beton übergossen oder zerkratzt und zerstört.

Stolpersteine bringen die Namen der Naziopfer wieder an die Orte zurück, von denen sie aus vertrieben wurden, sie tragen – oft nach jahrzehntelanger Verdrängung – diesen Vorgang gleichsam wieder an die Oberfläche. Mittlerweile liegen über 105 000 Stolpersteine in über 30 Staaten.

Welche Wirkungen können Stolpersteine haben?

Erinnerungen wachhalten

Fast jede und jeder vierte Deutsche weiß laut einer Studie für eine ZDF-Doku nicht sicher, was genau der Holocaust ist. Dies sind erschreckend viele Menschen. Daher existieren zahlreiche Initiativen, um die Erinnerungen zu bewahren. Eines der bekanntesten: die Stolpersteine. Der Künstler Gunter Demnig hat sie Anfang der Neunziger erfunden. Den allerersten Stein verlegte er in Köln vor dem Rathaus. Die Stolpersteine erinnern an das Schicksal jener, die während der NS-Zeit verfolgt, vertrieben oder in Konzentrationslagern ermordet wurden. Die im Boden verlegten Messingplatten tragen die Namen der NS-Opfer und sind auf den Gehwegen vor ihren letzten Wohnhäusern eingelassen.

Nicht neu ist die Kritik an dieser Form der Erinnerung mit Stolpersteinen. Sie umfasst mehrere Punkte. Zum einen fokussierten sich diese auf den Tod der Menschen, an die sie erinnerten, nicht auf ihr individuelles Leben. Ihre Lage auf dem Boden erlaubt kein Gedenken auf Augenhöhe, da auf einigen Stolpersteinen Begriffe wie „Gewohnheitsverbrecher“ oder „Rassenschande“ stehen, mit denen die Nazis die grausamen Taten rechtfertigten. (Die Inschriften sind absichtlich in Anführungszeichen gesetzt, um sich klar davon zu distanzieren). Zudem sie hätten in Häusern und nicht auf den Straßen gelebt, dass auf den Namen der Opfer herumgetrampelt wird. Daher entscheiden sich Städte wie München in den meisten Fällen für alternative Gedenkformen. Dies ist vollkommen akzeptabel und belebt die deutsche Gedenklandschaft.

Hineintragen des Gedenkens in den Alltag

  1. Stolpersteine: konfrontieren Passanten im täglichen Leben auf Schritt und Tritt mit der Erinnerung an verlorene Mitbürger, anders als ein zentraler Gedenkort, um den man einen großen Bogen machen kann. So werden auch diejenigen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert, die zentralen Gedenkveranstaltungen fernbleiben. Hier sind besonders die jungen Leute zu nennen, die an den klassischen und zentralen Gedenkveranstaltungen nur wenig partizipieren und schließlich das Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus für nachfolgende Generationen lebendig halten müssen.
  1. Steine zeigen, dass die Opfer mitten unter uns lebten: sprichwörtlich vor unserer Haustür. Somit dient eine dezentrale Verlegung nicht nur Passanten, sondern auch den Menschen, die selbst vor Ort leben, als Erinnerung.
  1. Stolpersteine berücksichtigen: auch Personen und Opfergruppen, die nicht Jüdinnen oder Juden waren, und wirken sich somit auch der Hierarchisierung und der „vergessen“ Opfergruppen entgegen.
  1. Die Individualität der Opfer: wird durch die biografischen Daten (Name, Geburts- und Todesdaten, Schicksal) und die Verlegung an den letzten freigewählten Wohnort deutlich. Daher ermöglichen Stolpersteine einen Zugang zu den Einzelschicksalen der Opfer und verorten diese – anders als es eine zentrale Gedenkstätte leisten kann – in ihrer ehemaligen Umgebung.
  1. Verbeugung vor den Opfern: Da die Steine im Boden verlegt sind, muss sich der Betrachter zum Lesen derselben verneigen – eine symbolische Geste für die Opfer.
  1. Ergänzungen möglich: Anders als eine zentrale Gedenktafel können Stolpersteine nach und nach ergänzt werden, falls im Nachhinein weitere Opfer identifiziert werden.
  1. Aufgrund der Vielzahl an Kommunen, die Stolpersteine verlegt haben, entsteht eine ortsübergreifende Erinnerungskultur, die von den Bürgern und Gästen der Stadt wahrgenommen wird.

Klaus-Peter Schuckies

VVN-BdA Sachsen-Anhalt