80. Tag der Befreiung in Halle
9. Mai 2025

Am 8. Mai 2025 zum 80. Jahrestag der Befreiung haben wir auf dem Südfriedhof in Halle den alliierten Soldat*innen und deutschen Widerstandskämpfer*innen gedacht. Ca. 300 Teilnehmer folgten unserem Aufruf und der politischen Botschaft, die von diesem Tag ausgeht: „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!“ Auch Halle OB Dr. Vogt hat an unserem Gedenken teilgenommen. Imfolgenden geben wir die Redebeiträge wieder. Kerstin eisenreich (MdL, die Linke) sprache am Gräberfeld Rote Arme und unsere Landesvorsitzende Gisela Döring am Ehrenhain für die deutschen Widerstandskämpfer*innen.
Unser Gedenken würde von der Presse positiv aufgegriffen u. a. bei dubisthalle.de: https://dubisthalle.de/tag-der-befreiung-kranzniederlegung-auf-dem-suedfriedhof-in-gedenken-an-80-jahre-kriegsende
Redebeitrag von Kerstin Eisenreich
„Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“
„Heute vor 80 Jahren unterzeichnete Nazideutschland die bedingungslose Kapitulation. Wir haben uns heute hier versammelt, um an dieses herausragende historische Ereignis zu erinnern. Denn diese bedingungslose Kapitulation markierte das Ende des zweiten Weltkrieges in Europa und es bedeutete Befreiung durch die Alliierten Streitkräfte und ihre Unterstützer.
Wir erinnern deshalb heute an die Verbrechen Nazideutschlands und an jene, die diesem Morden ein Ende gesetzt haben. Ohne die damalige Sowjetunion und die Rote Armee wäre diese Befreiung nicht möglich gewesen. Der Vielvölkerstaat hat dafür einen hohen Blutzoll gezahlt: Mehr als 27 Millionen Tote, darunter Russ:innen, Ukrainier:innen, Kasachen, Usbeken und viele andere, musste die Sowjetunion beklagen.
Es war die Befreiung für Abermillionen Menschen in Europa vom Joch und den Gräueltaten der Nazidiktatur und der faschistischen Wehrmacht, denen geschätzt 60 Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren. Städte, Dörfer, ganze Regionen wurden verwüstet, zahllose Familien ausgelöscht. Und wenn es nach dem Willen der Faschisten gegangen wäre, wären Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, aufrichtige Christ:innen, Homosexuelle, Menschen slawischer Völker und anderer Hautfarbe, Behinderte und viele andere vollständig vernichtet oder dem ewigen Joch eines Wahns von einem tausendjährigen Reich und der Überlegenheit der deutschen Rasse zum Opfer gefallen.
Dieser rassistische Wahn gegen die tausenden Facetten menschlichen Lebens war seit 1933 mehrheitsfähig. Doch die Grundlagen ihrer Vernichtung wurden schon in den 1920er Jahren gelegt. Damals kam der faschistische Diktator und seine noch kleine Anhängerschar nicht gleich als solcher daher. Er kam als Agitator, der mit seiner Hetze und der Zuschreibung einer Schuld für die schwere Wirtschaftskrise den Spaltkeil in die Gesellschaft trieb und damit die Saat für den späteren Rassenwahn, Hass, für die Gewalt und schließlich den Krieg, Zerstörung, Not und die systematische industriell organisierte Ermordung von Millionen Menschen legte.
Am heutigen Tag des Gedenkens müssen wir uns daher dieser Entwicklung erinnern und mahnen. Denn auch heute wieder säen Agitatoren der in Sachsen-Anhalt als rechtsextremistisch eingestuften AfD, von Pegida und Co., von alten und neuen Neonazis eine Saat gegen die Vielfalt menschlichen Daseins. Sie schüren Hass, Spaltung und Rassismus. Sie hetzen und diffamieren Andersdenkende. Und auch diese Saat ist bereits aufgegangen – rassistische Übergriffe und Morde an People of Color, Übergriffe und Morde an Politikern, die die freiheitliche Demokratie verteidigen und für Menschenrechte einstehen, wie Werner Lübcke, gegen quere Menschen. Und es sind diejenigen, die einen Schlussstrich, eine erinnerungspolitische Wende fordern und die Erinnerungspolitik als Schuldkult diffamieren. Es sind aber auch all jene, die die Barbarei der Nazidiktatur mit anderen Diktaturen gleichsetzen und damit die Verbrechen Nazideutschlands relativieren. So erst gestern geschehen im Kreistag Saalekreis, als von einem AfD-Mitglied eine Gedenkminute anlässlich des 8. Mai gefordert wurde, um den Deutschen und ihrem nach dem Kriegsende erlittenen Unrecht zu gedenken. Das ist widerlich!
Die geistigen Nachfahren der Faschisten werden immer stärker und sie greifen nach der Macht nicht nur in Deutschland. Sie treten Demokratie und Menschenrechte mit Füßen. Sie wollen Menschen entrechten, rausekeln oder rauswerfen. Sie wollen aber auch Menschen anderer Meinung, insbesondere junge Menschen, die nicht ihrer Menschennorm entsprechen, umerziehen und sie in ihr menschenverachtendes Ideologiekorsett zwingen. Auch das hat die AfD-Fraktion gestern im Kreistag des Saalekreises deutlich gemacht, wobei andersdenkende Jugendliche als links-grün versifft diffamiert wurden.
Allem Hass, Hetze und Spaltung sowie allen Versuchen, Geschichte umzuschreiben, müssen alle demokratischen Kräfte gemeinsam und solidarisch konsequent entgegentreten, widersprechen und diese Entwicklungen an der Wurzel bekämpfen. Die Menschenrechte gelten für alle, egal, woher sie kommen, wie sie aussehen, leben oder lieben oder welche Meinung sie haben. Denn nie wieder ist jetzt!
Und der Schwur „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ hat nichts an Aktualität eingebüßt. Umso schrecklicher ist, dass gegenwärtig wieder überall auf der Welt Krieg, Tod, Zerstörung, Not und Leid an der Tagesordnung sind. So tobt seit mehr als drei Jahren nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Osten Europas ein furchtbarer Krieg, ein Krieg, dem übrigens auch Veteranen des 2. Weltkriegs und KZ-Überlebende zum Opfer gefallen sind, er muss genau wie alle anderen sofort beendet werden. Und wir erleben ein Deutschland, wo alles für die Kriegstüchtigkeit getan wird, wo Milliarden in Aufrüstung gesteckt werden. Das ist gefährlich und darf nicht so hingenommen werden, gerade auch im Hinblick auf die Geschichte Deutschland. All unsere Anstrengungen müssen dem Frieden und der Verständigung dienen. Das ist unsere historische Verantwortung.
Trotzdem sollten wir am heutigen Tag auch feiern – die Befreiung Europas, die Befreiung für die Überlebenden in den Konzentrationslagern, für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter:innen. Und auch wenn dies den meisten Menschen in Deutschland so nicht bewusst war: Es war die Befreiung Deutschlands. Denn Deutschland war nicht in der Lage gewesen, sich selbst zu befreien. Deshalb sollte dieser Tag nicht nur Gedenktag sondern auch Feiertag werden!
Zugleich war es der Tag des Sieges, nicht nur militärisch, sondern des Sieges all derer, die im Widerstand gekämpft hatten, auch wenn viele von ihnen dafür ihr Leben lassen mussten, so wie Sophie und Hans Scholl oder Hilde und Hans Coppi. Es war ihr Sieg und der Sieg der Menschlichkeit über die Barbarei des Faschismus. Ihrem Vermächtnis sind wir hier und heute und für die Zukunft verpflichtet.“
Redebeitrag von Gisela
Liebe Antifaschistinnen! Wir stehen hier am Ehrenhain für die deutschen Widerstandskämpferinnen, um ihnen zu danken für ihren Mut, für ihren Idealismus, ihre Menschlichkeit, obwohl ständig vom Tode bedroht, im Kampf gegen die Terrorherrschaft des deutschen Faschismus.
Im Gegensatz zum militärischen Widerstand, der sich erst etablierte, als offensichtlich wurde, dass der verbrecherische Krieg der Nazis verloren war, haben sie , Frauen und Männer, organisiert in den Arbeiterparteien, in den Gewerkschaften, auch aus dem bürgerlich-humanistischem Umfeld, von Anfang an gegen die faschistische Diktatur angekämpft.
Einige von ihnen, denen die Flucht aus Deutschland gelang, kämpften, wie die Söhne von Bernard und Wilhelm Koenen in den Reihen der Roten Armee, wie der kommunistische deutsch-jüdische Student aus Halle, Moses Biletzki im Spanienkrieg, wie Erich Weinert, der Schriftsteller und Agitator aus Magdeburg, als Frontbeauftragter an der Ostfront.
Der Blutzoll, der in der Illegalität kämpfenden Angehörigen der Arbeiterparteien, vor allem der Kommunisten, war hoch.
Ziel der Faschisten war, die organisierte Arbeiterbewegung zu zerschlagen. Sofort. Nach dem Reichstagsbrand ,27.2.33, wurden Tausende , vor allem Kommunisten, verhaftet, gefoltert, ermordet, in die KZ geworfen. So erging es aus unserer Region den halleschen Stadtverordneten Kurt Wabbel, Ernst Eckstein, Erich Behnke. Einigen gelang es zu emigrieren und vom Ausland aus ihre antifaschistische Arbeit fortzusetzen. So gelangte Wilhelm Koenen nach Prag, unterstützte von dort aus die Kuriertätigkeit der Genossen aus dem mitteldeutschen Raum, übernahm Informationen über die Lage im faschistischen Deutschland, gab sie weiter an die ausländische Presse, machte die Welt aufmerksam und übergab illegales Material als Tarnschriften für die Aufklärungsarbeit der Bevölkerung in Deutschland.
Die illegale Arbeit war, als die Verhaftungen zunahmen, in Kleinstgruppen organisiert. Wenige wussten voneinander. Die Verästelungen der konspirativen Netzwerke waren nur einigen hinlänglich bekannt. Es gab in dieser Form Verbindungen von hier, aus dem mitteldeutschen Raum, bis zu den großen Widerstandsorganisationen in Berlin: Jacob/ Saefkow/Bästlein-Gruppe und nach Leipzig zur Georg Schumann-Gruppe.
Ziel dieser Gruppierungen war, den Faschismus von innen heraus zu besiegen. Das war ein steiniger Weg, denn die Bevölkerung war zu einer dumpfen Masse von Mitläufern, Wegsehern, Mittätern
geschrumpft. Das Denunziantentum blühte. Im Gegensatz zum Widerstand in den vom Faschismus besetzten Ländern gab es hier keinen Rückhalt für die Kämpfer gegen den Faschismus. Sie wurden von ihren Landsleuten verraten, denunziert, gejagt, verachtet.
Immer wieder aber organisierten sich neue kleine Widerstandsgruppen, die über Kuriere von der Bewegung Freises Deutschland bzw. vom Nationalkomitee Neues Deutschland ( NKFD ) erfuhren.
1943/44 wurde die Antifaschistische Arbeitsgruppe Mitteldeutschland ( AAM ) gegründet. Konspirative Anlaufpunkte waren ca. 20 betriebliche Stützpunkte um Eisleben, Mansfelder Land, Halle-Merseburg.
Robert Büchner aus Eisleben ,KPD, nach 5 Jahren Zuchthaus vom Gedanken der Selbstbefreiung beseelt und Georg König, Halle, KPO, mit einer Reihe von illegal organisierten Genossen, hatten großen Anteil am aktiven Wirken des Stützpunktnetzwerkes.
In Halle waren das die große Brotfabrik Schubert, die Zuckerfabrik, der Güterbahnhof, die Siebelwerke. Dort und in anderen Betrieben half man den Zwangsarbeitern, den in Lagern Vegetierenden und auch zur Zwangsarbeit gezwungenen Kriegsgefangenen, half mit Lebensmitteln, gab unter Lebensgefahr Radionachrichten weiter.
Im März 1945 verfasste Robert Büchner einen Aufruf an die Bevölkerung von Mitteldeutschland, mit dem Appell, die drohende Katastrophe abzuwenden, sich zusammenzuschließen , sich selbst zu befreien. Der Aufruf wurde in ganz Mitteldeutschland verteilt, in Briefkästen, in Garderoben, in Waschräumen, Verkehrsmitteln…
Es kam zu keiner Aktion aus der Bevölkerung heraus. Es herrschte Angst. Immer noch glaubten viele an den Endsieg. Bis zum Schluss blieben viele gefährliche Denunzianten.
Robert Büchner gab nicht auf. Er und seine Mitkämpfer in Eisleben halfen mit, dass die Stadt weitgehend unzerstört blieb und Robert schließlich noch , kurz bevor die US-Army ins Eislebener Rathaus einzog, der COUP gelang, Stunden vorher das Rathaus mit der Waffe in der Hand zu besetzen, die Nazis festzusetzen und schließlich dann das Rathaus der Siegermacht zu übergeben. Er wurde dann als Oberbürgermeister eingesetzt, für die Eislebener ein antifaschistischer Symbolakt.
Georg König und seinen Genossinnen war das in Halle, der Gauhauptstadt Mitteldeutschlands nicht beschieden. Erfolgreich waren seine Kontakte zu ehemaligen SPD-Genossen, die im Polizeipräsidium arbeiteten , seine Verbindungen zu der bürgerlichen Widerstandsgruppe um Prof Lieser und Prof.Hülse. Die Gruppe um Georg König und andere waren dann einbezogen in die nicht ungefährliche Flugblattaktion : Weiße Fahnen heraus! Wir danken heute und hier den Widerstandskämpferinnen gegen den deutschen Faschismus, die alles versuchten, um ihr Volk aufzurütteln, sich selbst von der Geißel der Terrorherrschaft zu befreien. Es ist nicht gelungen. Es waren zu wenige, die mit so viel Mut und Menschlichkeit unter Lebensgefahr kämpften, aber sie haben der Welt gezeigt: es gibt noch ein anderes Deutschland.
Sie haben dazu beigetragen, dass Deutschland, damals die Schande der Welt, wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen wurde.
Erfüllen wir ihr Vermächtnis, indem wir gegen den heutigen Neofaschismus kämpfen, aktuell am Sonntag mit einer Kundgebung auf dem Markt für ein AFD-Verbot.
Stehen wir gemeinsam ein für eine Welt des Friedens und der Freiheit!
Gisela Döring
Rede am Ehrenhain für die deutschen Widerstandskämpfer*innen.
8.Mai 2025