Gedenken zum Tag der Befreiung in Halle
9. Mai 2024
8. Mai, Halle, Tag der Befreiung
Vor gut drei Wochen waren wir gemeinsam auf dem Südfriedhof, um den alliierten Soldat*innen, den Partisan*innen und Widerstandskämpfer*innen für ihren Mut und ihr Opfer im Kampf gegen den Faschismus zu danken. An dem Ehrenmal für die sowjetischen Soldat*innen sprach Eva von Angern (Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag) über den Horror des faschistischen Krieges und unsere heutige Aufgabe, gegen die extreme Rechte zu kämpfen.
Vor dem Ehrenhain der deutschen Widerstandskämpfer*innen würdigte Gisela Döring den Mut derjenigen, die trotz aller Gefahren dem Faschismus trotzten und damit den 8. Mai, das Morgenrot der Menschheit, ermöglichten.
Heute gilt es, ihre Lehren, die im Schwur von Buchenwald deutlich werden, zu beherzigen und in ihrem Sinne zu handeln. Das heißt heute auch, konsequent gegen die extreme Rechte vorzugehen. Wir fordern deshalb weiter das Verbot der AfD!
Rede von Eva von Angern zum 8. Mai 2024
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
heute versammeln wir uns, um an den besonderen historischen Moment des 8. Mai zu erinnern. Vielen Dank an den Landesverband der VVN – BdA, vielen Dank an Gisela Döring und an meine halleschen Genossinnen und Genossen der Linken für eure Organisation.
Ich danke euch für die Einladung, um diesen Tag mit euch verbringen zu können. Seit vielen Jahren begeht ihr hier zusammen den 8. Mai, den Tag der Befreiung vom Faschismus.
Vor nun 79 Jahren endete die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus über Deutschland und Europa. Mit dem Sieg der Alliierten über das Deutsche Reich endete der II. Weltkrieg, – und damit ein beispielloser Vernichtungszug. Das Mordprogramm gegen die europäischen Jüdinnen und Juden wurde endlich gestoppt. Am 8. Mai endete das Sterben an der Kriegsfront, vorerst in Europa, im Herbst dann auch in Asien. Es endeten die Besatzung und das Morden in den Vernichtungslagern und in den psychiatrischen Anstalten. Es endete die Verfolgung und Ermordung der Gegnerinnen und Gegner der Nazis.
Der 8. Mai hat deshalb immer mehrere Bedeutungen: Er ist ein heller Tag der Freude über das Ende der Tyrannei.
Ein Tag der Dankbarkeit gegenüber den Allierten, den Befreiern der Roten Armee und hier in Halle den Befreiern der US-Armee.
Wir ehren ebenso am 8. Mai die Frauen und Männer des Widerstands.
An diesem Tag erinnern wir an den Schmerz und die unermesslichen Opfer des faschistischen Terrors und Krieges.
Viele unter uns, die heute hier versammelt sind, haben eine persönliche, eine familiäre Verbindung zum Widerstand gegen das Naziregime. Eure Erinnerungen sind persönliche Erinnerungen, an den eigenen Lebensweg und an Erinnerungen an die Eltern und Großeltern, an Weggefährten und Freundinnen.
All diejenigen, die ihr Leben opferten, all denen, die mit Mut und Menschlichkeit kämpften, verdienen unsere ewige Dankbarkeit und Anerkennung.
Der 8. Mai lehrt uns, dass die Werte der Demokratie, der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit niemals als selbstverständlich betrachtet werden dürfen. Sie müssen stets geschützt und verteidigt werden.
Wir denken an die heute Bedrängten, an all jene, die Auswege aus heutigen Kriegen und militärischen Konflikten suchen. Mit dieser Gedenkveranstaltung setzen wir auch ein Zeichen gegen den barbarischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Wir hoffen ebenso auf ein Ende des Krieges in Israel und Gaza, wir hoffen auf die Befreiung der von der Hamas verschleppten Geiseln.
Darüber sind wir uns einig: Wir verpflichten uns, den Geist des 8. Mai lebendig zu halten, indem wir uns gegen Faschismus, Antisemitismus und Rassismus wenden, wo auch immer sie auftreten.
Mit großer Sorge blicken wir auf die politische Stimmung dieser Tage. In wenigen Wochen sind Wahlen. Dann wissen wir, wie weit sich die politischen Kräfteverhältnisse verschoben haben. Wir stemmen uns gegen den Rechtsruck in den kommunalen Vertretungen und im Europaparlament. Im Herbst stehen zudem drei ostdeutsche Landtagswahlen an. Die rechtsextreme AfD führt zurzeit die Umfragen im Osten an. Gerade dort, wo sie als gesichert rechtsextrem gilt, erhält sie seit Monaten besonders starken Zuspruch. Das alles ist ernst und alarmierend. In einer Zeit, in der die Erinnerung an die Grausamkeiten des Nationalsozialismus zunehmend verblasst, arbeitet die erstarkte Rechte an einer erinnerungspolitischen Wende.
Der Aufstieg rechtsextremer Ideologien und die Zunahme von Hassreden und Gewalttaten sind eine bedrohliche Erinnerung daran, dass die Ideen, die einst zum Aufstieg des Faschismus führten, nicht vollständig ausgelöscht wurden. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Saat des Hasses und der Intoleranz erneut Wurzeln schlägt und unsere Gesellschaft spaltet.
Es liegt auch an uns allen, die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus wach zu halten und sicherzustellen, dass die Lehren aus der Vergangenheit nicht verloren gehen. Wir müssen aktiv für Toleranz, Vielfalt und Demokratie eintreten.
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
hier auf dem Südfriedhof erinnern uns die Gräber an die in Halle stationierte sowjetische Armee. Im Ehrenhain der Sozialisten haben zudem kommunistische, sozialdemokratische und sozialistische Politikerinnen und Politiker ihre letzte Ruhe gefunden. Viele Persönlichkeiten aus Halle waren Teil der historischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts.
Der Sozialdemokrat Franz Peters war als hallescher Reichstagsabgeordneter dabei, als Otto Wels 1933 seine mutige Rede gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis hielt. Bei der Abstimmung am 23. März 1933 fehlten bereits 81 Abgeordnete der KPD und 26 Abgeordnete, weil sie in den Wochen zuvor verhaftet, geflohen oder untergetaucht waren.
In dieser Sitzung hielt der SPD-Fraktionsvorsitzende Otto Wels seine berühmt gewordene Rede, die in folgenden Sätzen mündete: „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. […] Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.“
Die Rede von Otto Wels war nicht nur ein Akt des Protests, sondern auch ein Zeichen der Solidarität und des Glaubens an eine bessere Zukunft. 100 Jahre später, im März 2023 wollte der Landtag in Magdeburg an diese berühmte Rede erinnern und das Ende der Weimarer Demokratie.
Ich dachte damals, vor einem Jahr, diese Debatte kann nur eine sehr würdige Diskussion werden. Denn, es geht dabei um Wichtiges: Wir erinnern an den Mut und den Widerstand der Gegnerinnen und Gegner der Nationalsozialisten. Wir erinnern an das furchtbare Leid und die Gewalt, mit denen die Nazis gegen Kommunisten und Sozialisten und andere Verfolgte vorgingen. Wir ächten die Gewaltherrschaft, mit der die Faschisten ganz Europa und die halbe Welt überzogen.
Aber, nicht alle teilten diese Einschätzung: Denn, im Landtag von Sachsen-Anhalt sitzt auch die AfD. Jedes weitere Jahr radikalisiert sich der Ton dieser Fraktion. Es gibt keine Grenzen mehr für die AfD. Jede Niedertracht, jede Provokation, jede Ausfälligkeit ist ihr dort recht.
Wer wissen will, was das ist, eine gesichert rechtsextreme Partei im Parlament, der braucht sich nur dieses Debatte vom März vor einem Jahr ansehen. Diejenigen, die an die mutigen Frauen und Männer im politischen Widerstand erinnerten, wurden verhöhnt. Zu jeder demokratischen Partei hatte die AfD eine Gegenrede vorbereitet: Jede Rednerin, jeder Redner wurde unterbrochen, niedergebrüllt. Um das klar zu sagen: Im Landtag von Sachsen-Anhalt werden in jeder Landtagssitzung Grenzen überschritten. Und zwar Grenzen der Moral, des Anstandes und der Diskussionskultur.
Das Erschreckende ist, diese Radikalisierung verfängt bei vielen Menschen. Wir haben als Linksfraktion manchmal gezögert, ob wir über die Provokationen der AfD berichten. Um ihnen nicht noch mehr Öffentlichkeit zu geben. Dieses Zögern legen wir nun immer öfter ab. Denn, es muss klar sein, was die AfD ist und was sie will. Sie will die demokratischen Institutionen aushöhlen, die Vielfalt der Meinungen und Perspektiven zerstören. Im Kern geht es um die Freiheits-Rechte des Einzelnen, die, ginge es nach den Rechtsextremen, hinter den Interessen des Kollektives zurückstehen sollen. Im Kern geht es darum, dass Ideal der Gleichwürdigkeit aller Menschen anzuzweifeln.
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen, liebe Genossen,
Dort aber, wo dieses Ideal fällt, wächst politische Gewalt. Zuerst werden Menschen ihre Rechte abgesprochen, dann folgt der körperliche Angriff. So haben wir dies mit rassistischer Gewalt seit den 90er Jahren nach der Wiedervereinigung erlebt. Heute erleben wir zusätzlich eine Verächtlichmachung von demokratischen Parteien durch die AfD oder durch rechte Medien. Rechtsextremistische Gruppen und Einzelpersonen nutzen das Internet und soziale Medien, um Hass und Gewalt zu verbreiten und politische Gegner zu attackieren.
Das hat zu einer enormen Zunahme von politisch motivierten Angriffen geführt. Die Genossinnen und Genossen der sächsischen Linken berichten gerade über eine nie gekannte Zerstörungswut. Noch nie wurden dort so viele Plakate zerstört wie in diesem Kommunalwahlkampf. Und, ihr wisst, erst am Wochenende wurden Wahlkämpfer der SPD und der Grünen angegriffen. Der SPD-Politiker Matthias Ecke wurde schwer verletzt.
Ein weiterer besorgniserregender Trend ist die Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft entlang politischer Linien. Ideologische Gegensätze und die Unfähigkeit, Kompromisse zu finden, haben zu einem Klima der Feindseligkeit und des Misstrauens geführt, das den Boden für politische Gewalt bereitet.
Es ist wichtig zu betonen, dass politische Gewalt in keiner Form tolerierbar ist und eine direkte Bedrohung für unsere demokratischen Werte und Institutionen darstellt.
Die große Hoffnung dieser Tage sind die vielen Menschen, die sich gegen die zunehmende Gewalt stellen. Genauso wie die Menschen, die vor einigen Wochen auf den Straßen und Plätzen für die Demokratie demonstrierten. Die zu Hunderttausenden erschrocken nach der Berichterstattung über Deportationspläne reagierten.
Ihr wisst, in Halle gab es einen der größten Protestzüge, viele Genossinnen waren dabei. Es ist bemerkenswert, dass es bis heute immer noch Kundgebungen gerade in Ostdeutschland gibt. Viele Menschen positionieren sich klar. Sie wollen in einem demokratischen Gemeinwesen leben. Sie wollen eine liberale Öffentlichkeit. Sie wollen ein gutes und sicheres Zusammenleben.
Für uns als Parteipolitikerinnen war diese Massendemos enorm wichtig. Denn wir können sehen und spüren, dass Millionen Menschen bereit sind, die Demokratie zu verteidigen. Es zeigt, dass diese Gesellschaft in Bewegung ist – und eben nicht einfach nur nach rechts rückt. Dass es eine Bereitschaft gibt, genauer hinzusehen. Dass Millionen Menschen nach Wegen der Integration suchen und nach sozialer Sicherheit.
Deshalb: Nur Mut! Es gibt keinen Grund zu verzagen! Im Gegenteil!
Wir sind nicht allein. Und, wir lassen niemanden allein.
Euch allen: Einen friedlichen und schönen 8. Mai!