Redebeitrag zum 9. November in Zeitz

11. November 2022

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Am 9. November hat unsere Vorsitzende Gisela Döring in Zeitz auf Einladung der „Initiative Stolpersteine Zeitz“ einen Redebeitrag gehalten, den wir im Folgenden wiedergeben:

An diesem Ort hier versammelt. Heute und hier. Die Welt ist zerbrechlich. Es gibt sie noch: die Stille der Nacht.

84 Jahre zuvor wurde diese im ganzen Reich der Herrenrasse von Feuerschwaden durchglüht. 1400 Synagogen sanken in Schutt und Asche. Menschen wurden gejagt, geschlagen, erschlagen. Wohnungen, Geschäfte, verwüstet.

„Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär“…

schrieb Else Lasker–Schüler, deutsch–jüdische Dichterin.

Das war 1938.

Das Menetekel vom Mai 1933, als die Flammen der Scheiterhaufen, in denen das geistige Gut der Deutschen verenden sollte, das Höllenreich einhüllte, lautete: „ Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch Menschen“.

Vier Jahre danach, ein Jahr vor dem Pogrom des 9. November, wurde der angesehene , Zeitzer, deutsch – jüdische Arzt und Widerstandskämpfer, Dr. Gustav Flörsheim, in meiner Stadt, Halle an der Saale, im Zuchthaus „Roter Ochse“, zerschlagen, zertrampelt. Ein Auge blieb ihm. Von Zuchthaus zu Zuchthaus geschleift, verbrannte er in Auschwitz. Eine Allee hier ist nach ihm benannt, Ein goldener Stein vor seinem Wohnhaus.

In meiner Stadt, vier Wochen vor der Gedenkfeier zum 9. November, im Jahr 2019, ging ein Neofaschist online, filmte er den Versuch, die hallesche jüdische Gemeinde, versammelt zum Gebet, am Versöhnungstag, Jom Kippur, zu vernichten.

Die Bilder gingen in die Welt. Die Welt hielt den Atem an.

Gibt es die Herrenrasse schon wieder in Deutschland?

Ist der Tod, der versuchte Mord an der jüdischen Gemeinde in Halle, der vollendete Mord an Jana und Kevin, schon wieder, immer noch, ein Meister aus Deutschland?

Schöne junge Frauen waren an diesem Tag, am 9. Oktober 2019, zu Gast in Halle beim Versöhnungsfest, dem höchsten Fest der jüdischen Gemeinden. Sie sollten alle durch die Hand eines Neofaschisten ausgelöscht werden.

Paul Celan, Auschwitz – Überlebender , sagt in der , 1948 geschriebenen „ Todesfuge“, :

„ …ein Mann wohnt im Haus. Er pfeift seine Juden hervor. Lässt schaufeln ein Grab in der Erde.
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Sein Auge ist blau.
Er trifft dich mit bleierner Kugel. Er trifft dich genau.
Dein goldenes Haar, Margaritha.
Er hetzt seine Rüden auf uns. Er schenkt uns ein Grab in der Luft.
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
Dein goldenes Haar Margaritha,
Dein aschenes Haar, Sulamith.“…

Die Präsidentin der studentischen jüdischen Union Deutschland, eine der schönen jungen Frauen, die am 9. Oktober 2019 zu Gast waren an Jom Kippur in der halleschen jüdischen Gemeinde, kennt dieses Gedicht.

Sie sprach zwei Jahre später, zum Gedenken an den Terroranschlag auf die Synagoge zu Halle an der Saale, zu 500 , überwiegend jungen Menschen: Student*innen, Schüler*innen , darunter wir als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Nachkommen auch vieler jüdischer Opfer und Widerstandskämpfer*innen.

Sie trug ein selbstgeschriebenes Gedicht vor: „ Fremd, wieder fremd in Deutschland…“

Sie sagte aber auch, dass die Solidarität sie einhülle, ermutige, aufrichte, Hoffnung gebe.

Und so auch hier, in Zeitz, heute, am 9. November, 84 Jahre nach dem Pogrom an deutschen Menschen, die von den deutschen Faschisten als Juden markiert wurden.

Wir gedenken hier und heute der Opfer unserer faschistischen Vorfahren. Wir gedenken in herzlicher, tätiger Solidarität, in historischer Verantwortung für die Verbrechen des deutschen Faschismus.

So auch im Sinne des Nobelpreisträgers, Elie Wiesel, als jüdisches Kind in Auschwitz und Buchenwald:

„Es gibt keine Kollektivschuld. Die Kinder der Mörder sind keine Mörder….aber:
Wir können sie dafür verantwortlich machen, was sie aus der Erinnerung an die Verbrechen ihrer Väter machen.“