Robert Siewert (1887 – 1973)

6. September 2023

Politiker, Widerstandskämpfer, Gründungsmitglied der VVN

von Gisela Döring

Robert Siewert, der nach zweijähriger illegaler Tätigkeit, 1935 zu einer drei-jährigen Zuchthausstrafe verurteilt und dann auf Weisung der Berliner Gestapo am 22. 09.1938 ins KZ Buchenwald eingeliefert wurde, durchlitt dort „die Hölle auf Erden“.
Sein Mithäftling, der österreichische Soziologe, Eugen Kogon, charakterisierte ihn in der ersten bedeutenden Analyse des NS-Terrors „ Der SS-Staat“ als „Beispiel für Sauberkeit, Menschlichkeit und persönlichen Mut“.
Wer war dieser Mann, dem aus Anlass seines 100. Geburtstages eine Sonderbriefmarke der DDR gewidmet wurde, dem der Karl-Marx-Orden verliehen wurde?


Seht, welch ein Mensch, der dennoch nicht zerbrach.

Johannes R. Becher

Robert Siewert wuchs in Berlin auf und kam als Maurerlehrling mit Organisierten der Bauarbeitergewerkschaft in Berührung. Durch Teilnahme an großen Kundgebungen, Streiks und ersten politischen Schulungen wuchs sein Interesse an politischen Fragen. So organisierte er sich aktiv im Lokalverband der Maurer und wurde 1906 Mitglied der SPD.
Prägend für sein gesamtes politisches Leben waren seine Wanderjahre von 1906 bis 1915, die als Gepflogenheit der Handwerksgesellen begann und hochpolitisch endete. Es waren die „Universitäten seines Lebens“. In diesen Jahren lernte er Wilhelm Pieck kennen, studierte bei Prof. Hermann Duncker, hatte in Zürich mehrere persönliche Begegnungen mit Lenin, auch in Verbindung als Vorstandsmitglied des „Vereins zur Unterstützung der politischen Gefangenen und Verbannten des zaristischen Russland“. Gleichzeitig war er als Gruppenmitglied der „revolutionären Marxisten“ im internationalen Verein „Eintracht“ tätig. Ermutigt durch die Unterstützung der marxistischen Kräfte durch Lenin organisierte Robert Siewert in Zürich mit seinem Freund, Fritz Heckert und Schweizer Genossen eine Vielzahl Streiks. Nach einer Gefängnisstrafe wurde er 1915 von der „neutralen“ Schweiz als Kriegsgegner ausgewiesen.
Folgerichtig gestaltete sich seine weitere politische Entwicklung: als Mitglied des Soldatenrates trat er 1919 in die KPD ein und wurde 1920 als Leiter der starken BO Erzgebirge/Vogtland eingesetzt. Hier kamen ihm seine umfassenden Erfahrungen aus der gewerkschaftlichen Massenbewegung, sein großes Redetalent, seine politische Bildung, zugute. Von 1920 bis 1929 erhielt er das Vertrauen der kommunistischen Wähler und vertrat die Arbeiterschaft mit revolutionärer Leidenschaft im sächsischen Landtag.
Im gleichen Jahr wurde er, da er sich der KPD-O, also der kommunistischen Opposition, zuwandte, aus der KPD ausgeschlossen. Erst als Häftling im KZ Buchenwald kam es wieder zu einer Annäherung der Standpunkte. Hier, in der lebensgefährlichen illegalen Parteiarbeit entwickelte sich zwischen den KPD und SPD-Genossen die lang ersehnte Einheitsfront der gespaltenen Arbeiterparteien.
Robert Siewert, wieder in die KPD aufgenommen, wurde führendes Mitglied des illegalen Lagerkomitees. Der politische Häftling mit der Nr. 5040 war für seinen Mut, seine Menschlichkeit, lagerbekannt. Als Kapo des Baukommandos I einer Arbeitskolonne von 1000 bis 3000 Häftlingen, unersetzlich für SS-Bauvorhaben, gelang es, in Absprache mit dem Lagerkomitee, Hunderten von Kindern und Jugendlichen, vor allem polnische und jüdische, das Leben durch Ausbildung zum Maurer zu retten. Aus pragmatischen Gründen stimmte die SS zu.
Im Oktober 1944, nach seiner Rede zur Trauerfeier für den ermordeten KPD-Vorsitzenden, Ernst Thälmann, schwermisshandelt, wurde er bis April in Bunkerhaft gehalten, stand dann auf der Todesliste der 46, wurde von jüdischen Häftlingen, denen er das Leben gerettet hatte, versteckt und beteiligte sich dann aktiv an der Selbstbefreiung des Lagers.
Im Auftrag des KPD-Aktivs traf unter seiner Leitung die Gruppe Halle am 18. Mai 1945 dort ein und begann sofort, im Sinne des Schwurs von Buchenwald, schrittweise erste Konturen eines neuen antifaschistisch-demokratischen Landes zu gestalten.
Mit Übernahme der Region durch die Sowjetunion erlaubte der Befehl Nr.2 die Bildung von politischen Parteien. So konnten SPD und KPD, gemeinsam mit den Gewerkschaften und dann in Zusammenarbeit mit CDU und LDPD ihre Programme den Menschen des materiell und geistig verwüsteten Landes vorstellen. Dabei leisteten Robert Siewert und seine Genossen vielfältige Aufklärungsarbeit über den Charakter des deutschen Faschismus und seine Verbrechen.
Es ging am Anfang vordringlich darum, das Leben wieder in Gang zu setzen, die Ernährung zu sichern, Wohnungen und Arbeitsmöglichkeiten zu beschaffen, das Schulwesen in geordnete Bahnen bringen.
Im Juli 1945 wurde auf Befehl der SMAD die Provinz Sachsen (Halle, Merseburg, Magdeburg, Anhalt) etabliert. Als Präsident fungierte der Demokrat, Dr. Erhard Hübener und als Stellvertreter, Robert Siewert. Letzterer ohne Verwaltungserfahrungen musste das Regieren beim Regieren lernen. Zu seinen Aufgabengebieten zählten die Landwirtschaft, Arbeit und Soziales, Polizei, Justiz und Personalfragen.
Vordringlich war die Säuberung der Verwaltungen, Justiz und Polizei von Nazis. „Mit 50 000 Nazis kann man kein antifaschistisch-demokratische Deutschland aufbauen“, so Klartext des Genossen Siewert. Die belasteten Personen wurden entlassen, viele auch als Kriegsverbrecher verurteilt.
In persönlicher Überzeugungsarbeit wurden dafür als Ersatz befähigte Menschen, die meisten aus völlig artfremden Berufen, eingestellt. In Kurzlehrgängen konnten ebenso unbelastete Bürger*innen zu Volksrichter*innen ausgebildet werden.
Großen Anteil hatte Robert Siewert an der Ingangsetzung der Wirtschaft, der Überführung von Monopolbetrieben in Volkseigentum, der Einsetzung von liberalen, humanistisch gesinnten Betriebsdirektoren. Ebenso groß war seine Leistung bei der Durchsetzung der Bodenreform. 50.000 Menschen, Landarbeiter, arme Bauern, Umsiedler und Industriearbeiter erhielten Land. Dafür wurden Großgrundbesitzer, vor allem junkerlicher, halb-feudaler Besitz, enteignet. Mit dieser Agrarrevolution erfüllte sich der Jahrhunderte alte Traum, die Forderungen der Bauern, verkörpert in der Gestalt von Thomas Müntzer.
Trotz dieser bewundernswerten Leistungen beim Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung wurde Robert Siewert anlässlich einer großen Parteisäuberung mit Repressionen überzogen. Der Grund lag in seiner damaligen Zugehörigkeit zur KPD-O.
Er wurde als Hauptabteilungsleiteiter in das im Aufbau begriffene Bauministerium versetzt.
Hier machte er sich beim großen Neubauern-Bauprogramm einen Namen, hob die erste sozialistische Stadt der DDR, Eisenhüttenstadt mit aus der Taufe und war allgemein für den Wohnungsbau in der DDR zuständig.
Große Verdienste hatte er bei der Errichtung der nationalen Mahn- und Gedenkstätten, wie Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück.
Ehrenamtlich, vor allem nach dem Ende seines aktiven Berufslebens, erfüllte er vielfältige politische Aufgaben. So war er Vorsitzender des Buchenwaldkomitees für die DDR und gleichzeitig als Mitglied der Zentralleitung des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer*innen für die Pflege der internationalen Beziehungen zuständig. Diese Aufgaben koordinierte er ebenso als Präsidiumsmitglied der FIR.
Als Zeitzeuge vermittelte er Jugendlichen seine Erfahrungen aus dem Kampf gegen den Faschismus und ermunterte sie, im Sinne des Aufbaus einer sozialistischen Welt, im Sinne des Schwurs von Buchenwald, wachsam zu sein gegen deren Bedrohung.