AfD bekämpfen, Brandmauer aufbauen!

30. November 2023

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Kommentar zur Podiumsdiskussion „Wie umgehen mit der AfD?“ des Instituts für Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Am Mittwoch, dem 25.11.2023, fand auf dem Steintor-Campus der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) eine Podiumsdiskussion zum Thema statt, wie mit der AfD umzugehen sei. Eingeladen hatte das Institut für Politikwissenschaft, welches mit den Dozierenden Volker Best, Jens Hacke, Johannes Varwick und Andreas Petrik auch die Diskutant:innen stellte. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich Wissenschaftler:innen aktiv zu aktuellen Diskussionen verhalten und dort einbringen. Denn auch die Wissenschaft wird vom aktuellen Rechtsruck bedroht: Immer wieder hat die AfD in Sachsen-Anhalt versucht, Forscher*innen unter Druck zu setzen und deutlich gemacht, dass die Wissenschaftsfreiheit in einem völkischen und autoritären Staat unter ihrem Kommando längst ausgesetzt worden wäre.

Inzwischen ist die AfD in Sachsen-Anhalt so offen faschistisch, dass selbst der Verfassungsschutz des Landes den Wunsch nach dem völkischen Umsturz anerkennen und diese Partei als “gesichert rechtsextremistisch” definieren muss. Deshalb sollte der Konsens jeder wissenschaftlichen, politischen und bürgerschaftlichen Auseinandersetzung sein. Es darf keine Kooperationen mit der Partei, keinen Dialog mit ihren Funktionär:innen und keine Integration ihrer Propagandist:innen geben. Die oft beschworene “Brandmauer” hat bereits jetzt Löcher – aber sie verhindert derzeit noch, dass es weiteren faschistischen Einflussgewinn gibt.

Deshalb besorgt es uns zutiefst, dass mit Hans-Thomas Tillschneider einer der aggressivsten Faschisten aus der AfD-Landtagsfraktion sich an der Publikumsdiskussion beteiligen konnte. Zwar war der Hinweis von Johannes Varwick auf die Zusammenarbeit von Tillschneider mit den gewaltbereiten Identitären völlig richtig, aber gegenüber dieser Gruppierung war genau die Isolierung im Universitätskontext erfolgreich – an dem Beispiel sieht man perfekt, wie eine starke Brandmauer funktioniert: Keine Teilnahme an Veranstaltungen, keine Diskussion, keine Übernahme ihrer Sprache und ihrer Propagandapunkte.

Leider kann man sagen, dass Tillschneiders Möglichkeit, einen Redebeitrag zu halten, dann trotz des Widerspruchs zur Veranstaltung gepasst hat: So gab es die Empfehlung, die Isolierung der AfD in Teilen aufzuheben und ihnen etwa parlamentarische Posten zu ermöglichen (z.B. Ausschussvorsitz). Begründet wurde das damit, ihnen die “Opferrolle” nicht zuzugestehen. Genau diese Diskussion ist aber unter antifaschistischen Akteur*innen schon seit Jahren geführt worden. Hier hat sich gezeigt, dass das Opfernarrativ/die Opferrolle einfach nur die andere Seite des Triumphalismus ist – auf der einen Seite inszeniert man sich als Opfer, wenn man einen Posten nicht bekommen, auf der anderen Seite sieht man sich am Anfang der völkischen Revolte, weil man sich durchgesetzt hat.

“Formal muss es ein fairer Umgang sein […] um die Opferrolle nicht zu bestärken. […] Mit so einer ausschließenden Rhetorik bedient man so eine Opferrolle”

PD Dr. Volker Best

Letztlich wurde auf dem Podium bereits vorausgesetzt, dass die AfD dauerhaft bleibt und deshalb ein Ko-Existenz im bürgerlich-parlamentarischen System definiert werden müsse. Allerdings ist das eine Sichtweise, die sich selbst beschränkt: Rechtsextreme Parteien haben überall dort besonderen Erfolg, wo sie anerkannt werden, wo der gesellschaftliche Widerstand nicht mehr besteht, wo sie zuerst die Posten im Parlament (Ausschussvorsitz z.B.) bekommen, dann gemeinsam abstimmen und dann eine Regierung stellen. Währenddessen kommen ihre Positionen, was auf dem Podium zurecht kritisiert wurde, im bürgerlichen Mainstream an, weil man denkt, dass die “bürgerliche Mitte” dann zu halten sei.

Und wie stark der Rechtsruck wirkt, kann auch daran gesehen werden, dass antidemokratische Ideen, wie sie etwa unter der Faschistin Giorgia Meloni in Italien vertreten werden, selbst auf dem Podium als Erfolgsrezepte vorgeschlagen wurden: So wurde von einem Vertreter eine Stärkung des Mehrheitswahlrechts oder eine Bonus für die stärksten Parteien empfohlen (etwa durch zusätzliche Sitze), was letztlich bedeutet, dass wir demokratische Mitsprache einschränken würden, anstatt gegen die AfD zu kämpfen.

Eine solche Kategorienverwechselung ist besonders schwierig für eine Politikwissenschaft, die sich explizit als Demokratiewissenschaft versteht, aber hier offenbart, dass es sich bei den “Lehren aus Weimar” um falsche Gewissheiten handelt, als darum ernsthaft demokratische Strukturen zu verteidigen. Aus dem Ansinnen rechte Antidemokraten zu bekämpfen wird die praktische Politik der Schwächung demokratischer Opposition. Erst wird die Demokratische Mitbestimmung durch das Mehrheitaswahlrecht geschwächt, was rechtsextreme Akteur:innen in ihrer Erzählung von Eliten wunderbar nutzen können und dann gewinnen sie Wahlen und den demokratischen Parteien fehlen Einflussmöglichkteien, die sie zuvor mit dem Mehrheitswahlrecht selbst abgeschafft haben. Es ist das liberale Missverständnis: Im Glaube daran die Faschist:innen zu schwächen, in dem man technische Lösungen für grundsätzliche Probleme sucht, geht man den Faschist*innen unbewusst entgegen.

“Der Faschismus war das organische Ergebnis von Entwicklungen, die zum Großteil innerhalb der liberalen Gesellschaft und Ideologie stattfanden.” schreibt der israelische Historiker Landa. Das sehen wir zB an der Wähler*innen Wanderung der liberalen Partei DVP und DDP, aber auch daran, dass viele Liberale 1932/33 die Ausgrenzung der NSDAP beklagten und eine Koalitionsregierung wollten, die später mit der DNVP kam.

Das ist natürlich nicht das, was aus der Podiumsdiskussion hervorging bzw. was von den halleschen Professoren intendiert wird. Vielmehr sehen wir, dass einige der Podiumsgäste aus der Politikwissenschaft, die ohne Zweifel redlich um die Schwächung der AfD bemüht sind, keine Idee dafür haben, das demokratische System inhaltlich zu verteidigen, welches dem Rechtsruck schlicht angepasst werden soll. Auch wenn alle Beteiligten sich dagegen aussprachen, stellt das faktisch eine Normalisierung dar.

Die unten genannten Zitate aus der Podiumsdiskussion bzw. aus Berichterstattung können dies verdeutlichen:

“Formal muss es ein fairer Umgang sein”, sagte Dr. Volker Best, beispielsweise das Zugestehen von Ausschuss-Vorsitzen.

“Grundsympathisch” nannte Dr. Jens Hacke die Idee eines Mehrheitswahlrechts. Die AfD sei der „Seismograph unserer politischen Kultur.” Ein Problem sei auch, wie die “politische Elite” mit dem Volk spricht. Ein moralischer Überschuss führe schnell zur Übersättigung. Die Nazi-Keule löse kein Problem. Auch könne man politische Probleme nicht mit Geld lösen (Stichwort: Doppel-Wumms).

“Den anderen Parteien riet [Prof. Varwick], keine Koalition mit der AfD einzugehen, aber auch keine Brandmauer aufzubauen.“

Artikel von DubistHalle

Gegen diese Positionen ließe sich viel einwenden. So wurde nie versucht die Probleme mit Geld zu lösen. Preise und Mieten sind auf einem Rekordhoch, Löhne schon lange von der Preisentwicklung abgekoppelt. Infrastruktur und Bildungssystem sind seit Jahrzehnten kaputtgespart. Die moralischen Dilemmata tun sich eben erst dadurch auf, dass Güter (im weitesten Sinne) knapp gemacht werden. Dadurch wird der Konkurrenzkampf bestärkt, die neoliberale Ellenbogengessellschaft führt zur notwendigen Verrohung, was aber nur von einer teilnehmenden Person angesprochen wurde. Hier wurde versucht die AfD zu analysieren und es wurde versucht, das demokratische System zu verändern, um auf sie reagieren zu können. An den sozialen und wirtschaftlichen Missständen, die auch die fehlende Resilienz gegenüber reaktionären Kräften bedingen, wird nicht einmal herum kritisiert.

Was viele Aktivist:innen, Recherchegruppen und antifaschistische Wissenschaftler:innen in den letzten Jahren immer wieder kritisiert haben, ist an diesem Mittwoch eingetreten: Während die AfD als “gesichert rechtsextremistisch” gilt und eine offen faschistische Programmatik aufweist, sorgt sich ein Teil der halleschen Politikwissenschaft darum, die AfD zu stark auszugrenzen – als wäre nicht die Ignoranz vieler Liberalen und Konservativen gegenüber der “Brandmauer” schon seit Jahren dafür verantwortlich, dass die AfD immer wieder kleine Erfolge erzielen kann

Im Sinne einer demokratischen und weltoffenen Gesellschaft glauben wir, dass Wissenschaft und Antifaschismus hier nicht in Konfrontation zueinander stehen müssen. Wir glauben, dass eine fruchtbare Diskussion möglich ist. Deswegen ist es auch an sich gut, dass man z.B. bei uns anders diskutiert als beim Institut für Politikwissenschaft. Gleichzeitig ist es nicht die Rolle der Wissenschaft, die Erkenntnisse aus dem jahrelangen konkreten Kampf gegen die AfD zu ignorieren und Allgemeinplätze des Verfassungsschutzes oder von Alt-Bundespräsidenten Gauck zu wiederholen. Vielmehr braucht es eine engagierte und antifaschistische Grundlage, um den enormen Problemen der demokratischen Gesellschaft beizukommen.

Quellen