PM: Zurückweisung der als Legende bezeichneten Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald

5. Dezember 2023

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Die seit geraumer Zeit von der Bundesstiftung „Zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ in Auftrag gegebene Wanderausstellung „Leseland DDR“ ist bis Ende des Jahres im Foyer der Volkshochschule „Adolf Reichwein“ in Halle (Saale) zu besichtigen.
Die ca. 20 Tafeln zeigen, in interessantem Facettenreichtum in Wort und Bild, den Umgang ehemaliger DDR-Bürger*innen mit damals vorhandener bzw. nicht verfügbarer, aber sehr erwünschter Literatur.
Die Kommentare dazu laden ein, sich im demokratischen Diskurs einzubringen.
Eine Sonderrolle stellt die Tafel, betitelt mit: „Der Schwur von Buchenwald“, dar.
Als Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V. (VVN-BdA) stehen wir im Vermächtnis der ermordeten und überlebenden Häftlinge der deutschen faschistischen KZ und ihres Schwurs: ,,den Nazismus mit der Wurzel ausreißen sei unsere Losung, für eine neue Welt des Friedens und der Freiheit zu kämpfen, sei unser Ziel“!

Wir weisen entschieden und mit Empörung die geschichtsrevisionistische Behauptung, die am 11. April 1945 erfolgte Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald, sei eine Legende, zurück.

Ziel dieser Behauptung ist offensichtlich, den jahrelangen, stets unter Todesgefahr, illegal organisierten Widerstandskampf innerhalb des KZ für eine Verbesserung der Lage der Häftlinge insgesamt, der Rettung vor Deportation, der Rettung von Hunderten Kindern und Jugendlichen und daraus resultierend die konspirative Planung eines bewaffneten Aufstandes, kleinzureden, in Respektlosigkeit abzuwerten und in billigster Weise als systemimmanente Heroisierung der DDR, speziell des kommunistischen Widerstandes, abzutun.
Die Selbstbefreiung des KZ Buchenwald wurde am 11. April 1945 auf Weisung des Internationalen Lagerkomitees (ILK) durch deren unterstellte Internationale Militärorganisation (IMO) um 14.30 Uhr mittels einer über Monate hinaus präzise geplanten und vorbereiteten bewaffneten Kampfaktion ausgelöst. Es gelang, insgesamt 125 schwerbewaffnete SS, Besatzungen der Wachtürme und der Postenkette, zu überwältigen, zu entwaffnen und festzusetzen.
Begünstigt wurde die bewaffnete Aktion durch die Nähe der amerikanischen Alliierten.
Diese Nähe barg aber nicht die Hoffnung auf eine etwaige „friedliche Übergabe“ der Häftlinge an die Alliierten. In den allerletzten Kriegstagen, noch Stunden vorher, kam es durch die Mörderbanden der SS zu Massenerschießungen, Todesmärschen, Hinrichtungen, einen Tag vor Eintreffen der Amerikaner wurden in Gardelegen 1400 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt.
Die bewaffnete Kampfaktion der IMO, in deren Reihen sich auch ehemalige Offiziere der Interbrigaden Spaniens, der Resistance, deutsche kommunistische Widerstandskämpfer, Kämpfer aus Polen und der Sowjetunion befanden, rettete in den letzten Stunden 21 000 Menschen, gequälten Häftlingen, das Leben.
Die Selbstbefreiung ist verbrieft in zahlreichen Erinnerungsberichten ehemaliger Häftlinge des KZ Buchenwald, u.a. bei Jorge Semprun, damals Mitglied der KP Spaniens, Schriftsteller und später Kulturminister Spaniens.
Sie ist dokumentiert im Heeresbericht der 4. US-Panzerdivision vom 13. April 1945, in dem es heißt:

Vor unserer Ankunft waren 125 SS-Leute gefangen gesetzt. […]Die Führung des Lagers ist in den Händen eines gut organisierten Komitees, das alle vertretenen Nationen umfasst.

Die Gedenkfeier aus Anlass der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald vom 11. April 1945 wird in jedem Jahr feierlich von Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos veranstaltet.

Gisela Döring
Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Sachsen-Anhalt e. V.
Vorsitzende

Kontext zur Pressemitteilung

Foto der Ausstellungstafel mit dem Titel „Schwur von Buchenwald“
Die Ausstellungstafel trägt folgenden Text:

Der Schwur von Buchenwald
Die DDR bezog ihre historische Legitimität aus dem Kampf gegen den Faschismus. Die zentrale Weihestätte dieser Geschichtsideologie war das ehemalige KZ Buchenwald. Dort Spielt Bruno Apitz‘ Roman „Nacht unter Wölfen“. Er ist ein Beispiel für die Gratwanderung zwischen Geschichtsklitterung und der Vermittlung antifaschistischer Ideale.
Das Buch beschreibt, wie Häftlinge auf Weisung des illegalen Internationalen Lagerkomitees einen jüdischen Jungen vor dem Tod retten. Wie viele andere literarische Werke wurde das Buch von der DEFA verfilmt. Roman und Film gingen sehr frei mit den historischen Tatsachen um. Das betraf nicht nur das Schicksal des echten „Buchenwaldkindes“, sondern auch die Überhöhung der Rolle der Kommunisten und die Legende von der Selbstbefreiung des Lagers.
Der Schwur von Buchenwald, den die befreiten Häftlinge leisteten, wurde zum Gründungsmythos der DDR stilisiert. Ein bewegendes und viel gelesenes Buch sowie ein herausragender Spielfilm wurden auf diese Weise politisch instrumentalisiert.